Die Hauptwerkstätte Jedlesee der k.k. priv. Österreichischen Nordwestbahn

1872 - 1928 zwischen Koloniestrasse, der heutigen 0' Briengasse und dem ehemaligen Nordwestbahn - Streckengleis.

Bericht: Ing. Peter Gaider, Zusammenstellung: Ernst Sladek 

  

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  Das Stammnetz der 1868 entstandenen k.k. priv. Österreichischen  Nordwestbahn (ÖNWB) verband Wien über Znaim, Iglau und Deutschbrod mit Jungbunzlau, Trautenau bzw. Pardubitz. Am 1.11.1871 war  die gesamte Strecke fertiggestellt; lediglich der Wiener Bahnhof und die Strecke Wien - Jedlesee (ab 1872 Jedlersdorf-Transit, ab 1897 Jedlersdorf, ab 2002 Wien Jedlersdorf) zum Anschluss an die von der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn erworbene Strecke Jedlesee - Stockerau waren noch nicht  erbaut.

  Die anfänglich nur in geringen Maße anfallenden Werkstättenarbeiten wurden in der Heizhauswerkstätte Caslau durchgeführt. Diese wurde Ende 1870 unter entsprechender Erweiterung nach Gross Wossek verlegt. Im Dezember 1871 wurde die Hilfswerkstätte Trautenau und im Jänner 1872 die Werkstätte Iglau, bei gleichzeitiger Reduktion der Werkstätte Gross Wossek errichtet. 1872 benötigte die ÖNWB bereits 95 Lokomotiven der Reihen IIIa, Va,b,c,d,e und VIII zur Betriebsabwicklung, und man schritt daran eine definitive Hauptwerkstätte in Wien in der Station Floridsdorf – Jedlesee (später Jedlesee benannt) zu errichten.
Foto: Koloniestrasse 26, das ehemalige Verwaltungsgebäude, später ein Wohnhaus. (Foto 2006)
Wurde im November 2009 abgerissen.
  Am 1.6.1872 wurde die Strecke Wien Nordwestbahnhof - Floridsdorf-Jedlesee - Jedlersdorf-Transit eröffnet, wodurch die gleismässige Anbindung der neuen Hauptwerkstätte an das Streckennetz der ÖNWB ermöglicht wurde. Das 45.000 m2 große Gelände der in Floridsdorf (Wien 21.) liegenden Hauptwerkstätte Jedlesee erstreckte sich von km 5,4 bis km 6,1 der Strecke Wien - Deutschbrod und wurde von der Lokomotivgasse, der Koloniestrasse, der heutigen 0' Briengasse und dem Nordwestbahn-Streckengleis begrenzt.
  Die Grundeinlösungsverhandlungen begannen bereits im Juli 1870 und nach Planerstellung im Sommer 1871 wurde am 4.3.1872 mit der Errichtung der Hauptwerkstätte (HW) und dem Material-Magazin begonnen. Der Bau unter der Leitung von Baumeister Karl Pollak schritt rasch voran und bereits im Juni 1872 stand eine größere Anzahl von Maschinen in Betrieb. Am 1.9.1872,
wurde die ÖNWB-Hauptwerkstätte, deren Baukosten sich auf rund 432.000 Gulden beliefen, fertiggestellt.
  
Die Werkstätte, sie war für die gleichzeitige Reparatur von 12 Lokomotiven und 60 Wagen ausgelegt worden, bestand aus zwei gesonderten Bauten in Rechteckform.

Foto: Das Portierhaus, 2006 eine aufgelassene Gartenhütte. Wurde Ende 2008 abgerissen.

  Der nördliche Bau enthielt die Lokomotivmontierung, die Dreherei, die Kesselschmiede, die Schmiede und Holzbearbeitungsraume. Der südliche Bau beinhaltete  die Wagenmontierung, die Lackiererei und die Sattlerwerkstätte. Der dazwischenliegende weite Hofraum wurde an der Koloniestraße vom Verwaltungsgebäude mit Kanzleien und Wohnungen und dem Portierhaus, an der gegenüberliegenden Seite beim Streckengleis vom Wasserturm, der sämtliche Werkstättengebäude mit Wasser versorgte, und vom Holzdepot flankiert. Die einzelnen Stände der beiden Werkstätten wurden durch je eine nicht versenkte Schiebebühne verbunden. Im südseitigen Hof befand sich darüber hinaus noch eine Dampfschiebebühne. An Hebezeugen standen von Beginn an Laufkrane mit 1,5 t, 3 t und 4 t zur Verfügung. Der Antrieb der 50 Arbeitsmaschinen erfolgte durch ein Lokomobil mit 18 kW Leistung.

  Das zweistöckige Material-Magazin befand sich in der südöstlichen Ecke des Geländes, unmittelbar daran anschließend stand das Bürogebäude mit Wohnungen für den Magazinsdienst.
  Erster und jahrzehntelanger Vorstand der neuen Hauptwerkstätte war Oberinspektor Gustav Stockhammer, dem anfänglich nur 89 Bedienstete zur Verfügung standen. In den folgenden Jahren erhöhte sich der Personalstand jedoch ständig: So waren 1898 520 und 1919 bereits 654 Beschäftigte zu verzeichnen.
Foto: 1982, Links das ebenerdige Restaurationsgebäude, wenige Tage vor dem Abbruch. Rechts der ehemalige Bürotrakt der Lokomotivmontierung.
   1875 wurde nördlich des Werkstättengeländes die sogenannte "Nordwestbahnkolonie" - Arbeiterwohnhäuser mit 165 Wohnungen, die auch heute noch bestehen - und im folgenden Jahr in der Koloniestraße ein Arbeitersaal mit einer kleinen Restauration errichtet.
  Nach zehnjährigem Bestand wurde 1882 die Kesselschmiede neu gebaut. 1885 und 1896 wurde die Wagenmontierung und 1895 und 1897 die Lokomotivmontierung erweitert. Nach den letzten Baumaßnahmen, die verbaute Fläche vergrößerte sich auf rund 17.000 m2, hatte die Werkstätte 22 Lok- und 120 Wagenstände in durchwegs heizbaren Räumen zur Verfügung.
   Südlich der Wagenmontierung wurden zwei neue Schiebebühnen errichtet und die Anzahl der Arbeitsmaschinen erhöhte sich auf 77 Stück.
Foto: 1982, Der ehemalige Bürotrakt der Lokomotivmontierung, 1982 noch inmitten von Schrebergärten. Unmittelbar dahinter, am Bild durch die Bretterbude verdeckt, schloss früher die Werkstätte mit der in der Mitte gelegene Schiebebühne an. 

  Das Lokomobil wurde von einer neuen 29 kW starken, einzylindrischen Ventilmaschine und einem Siederohrkessel mit 54 m2 Heizfläche und 9 bar Dampfdruck, dessen Abdampf zur Beheizung der Lokomotivmontierung verwendet wurde, ersetzt. 1901 vermehrte man die Zahl der Lokstände abermals und baute eine zehnteilige Lokomotiv-Brückenwaage.

Fotos: Ehemalige Einfahrt in die HW Jedlesee, unmittelbar westlich (strassenseitig) des Aufnahmegebäudes Jedlesee. Links daneben das zweistöckige Büro- und Wohngebäude des Materialmagazinsdienstes, dahinter der verbleibende Rest des Materialmagazins. Foto: links 1982, rechts 2007
  Südlich an die Werkstätte anschließend befand sich von 1877 bis 1910 das Gelände der Imprägnierungsanstalt John B. Blythe,  die imprägnierte Eichen- und Kieferschwellen an die ÖNWB lieferte.  Nachdem 1910 ein Feuer die Anstalt vernichtete, wurde das Gelände von der Hauptwerkstätte übernommen.
  Rückwirkend mit 1.1.1908 wurde die k.k. priv. Österr. Nordwestbahn verstaatlicht, und mit 15.10.1909 übernahmen die k.k. Staatsbahnen den Betrieb.
  Zur Bewältigung des erhöhten Reparatursaufkommens, bedingt durch den starken Verkehr während des 1.Weltkrieges, wurde 1916  in Jedlersdorf/Strebersdorf etwa auf dem Gelände der heutigen  Wagenwerkstätte Jedlersdorf der HW Floridsdorf eine Hilfswerkstätte der HW Jedlesee errichtet, die jedoch nach dem Krieg  wieder aufgelassen wurde. 1918 mussten provisorische Gebäude für die Erweiterung der Schmiede und der Dreherei gebaut werden.  
Foto: Lok Nr. 13 anlässlich einer Hauptausbesserung im Jahre 1905 in der HW Jedlesee. Die 2B-n2 Personenzuglokomotive "Stephenson" wurde 1870 erbaut, erhielt von der kkStB die Nummer 16.03 und landete später bei den Tschechoslowakischen Staatsbahnen (Nr. 232.002)
  Die ersten Einschränkungen trafen die Werkstätte allerdings bereits wenige Jahre später. 1922 wurde in Jedlesee die Lokomotivreparatur aufgegeben und die Werkstätte in eine reine Personenwagen-HW mit einer Kapazität von 550 Wagen umgestaltet. Der Personalstand verringerte sich um über 200 auf rund 400 Beschäftigte.

Foto: Lok Nr. 281 der Reihe XVIIa vor der Lokomotivmontierung der HW 1905. Die 1C-n2 Güterzuglok der ÖNWB wurde 1902 unter der Fabr.Nr. 1473 in der Lokomotivfabrik Floridsdorf erbaut. Die kkStB ordnet die insgesamt 4 Lokomotiven der Reihe XVIIa als Reihe 360 ein und bezeichnete die 281 als 360.01. Von der DR erhielt sie die Nummer 54.201, von den ÖBB 254.201. Am 27.10.1953 wurde die Lokomotive aus dem Lokomotivstand ausgeschieden und wurde Werkslok WL 913.501 der HW Simmering, ehe sie 1960 kassiert wurde.
  Aus Einsparungsgründen wurde mit 1.2.1924 die Strecke Wien Nordwestbahnhof - Jedlersdorf für den Personenverkehr gesperrt. Lediglich ein bescheidener Güterverkehr frequentierte von nun an die Strecke über Jedlesee nach Wien. Der starke Verkehrsrückgang infolge der Weltwirtschaftskrise brachte den 15 Hauptwerkstätten der Österreichischen Bundesbahnen, davon allein sechs im Wiener Raum, einen akuten Beschäftigungsnotstand, und so wurde schließlich im Jahre 1928 aus Einsparungsgründen neben den Hauptwerkstätten Wien-West und Wien-Süd auch die HW Jedlesee von den BBÖ aufgelassen.
   Die letzten Wagenausbesserungen wurden im Dezember 1927 durchgeführt und per 31.12.1927 wurde der Werkstättenbetrieb beendet. Die Mehrzahl der Bediensteten von Jedlesee übersiedelte bereits 1927 in die damals noch selbstständige und von der Lokomotivwerkstätte getrennte Wagewerkstätte Floridsdorf an der Brünner Straße (später Hauptwerkstätte Floridsdorf) zur Güterwagenausbesserung. Lediglich 14 Arbeiter waren Anfangs 1928 noch damit beschäftigt die Werkzeugmaschinen zu demontieren und deren Übersiedlung in andere Bundesbahnwerkstätten durchzuführen.
  1929 pachtete die La. Pollitzer und Wertheim das Werkstättengelände auf einige Jahre und verschrottete hier ausgemusterte Lokomotiven und Wagen. 1935 wurden die Gleise und die Werkstätten abgetragen.

Foto: BBÖ 503.11 (Wr. Neustadt 3900/1896) früher SB 17c 402, kassiert 1932 in Jedlesee 17.05.1932

Auf dem großen freien Gelände wurden Schrebergärten angelegt, die auch 2007 noch existieren. Die Abtragung der letzten Gleisstutzen mit den zugehörigen Weichen, Putzgruben und Drehscheiben, dreier Schuppen, der Lokomotiv-Brückenwaage und der Schlauchwerkstätte wurde schließlich mit Bescheid vom 5.3.1938 genehmigt. Damit verschwanden 66 Jahre nach Erbauung der Hauptwerkstätte-Jedlesee fast alle Baulichkeiten.

Foto: BBÖ 371.07 (Esslingen 232/1853) früher SB 33 918 KAPELLEN, kassiert 1929
Die Werkstätte Jedlesee hat, so wie auch viele andere den jeweiligen Bahngesellschaften gehörende Werkstätten, in bescheidenen Maße, vor allem in der Anfangszeit der ÖNWB, auch Neubauten durchgeführt. So wurde z.B. 1873 der erste Dreiachser der .Nordwestbahn, ein Plateuwagen mit Rungen, Nr. 12.793, hier erbaut.
Heute erinnern lediglich das Verwaltungsgebäude in der Koloniestraße 26, derzeit (2007) ein Wohnhaus, das Portierhaus, das Büro- und Wohngebäude des Magazinsdienstes sowie der gemauerte ebenerdige Teil des Material-Magazins und zwei je. ca. 50 m lange Gleisstutzen - die ehemalige Einfahrt in die HW an die Zeit, als in Floridsdorf neben den ehemaligen Nordbahnwerkstätten (heutige TS Werkstätte Floridsdorf, vormals HW Floridsdorf 1852 bis dato) und der von 1869 bis 1969 in Betrieb gestandenen Wiener Lokomotivfabrik von 1872 bis 1928 auch noch eine dritte große Eisenbahnwerkstätte, die Hauptwerkstätte Jedlesee der k.k. priv. Österr. Nordwestbahn, bestand.

Die Arbeiterhäuser, "Nordwestbahn - Colonie" genannt.

Da sich in den entlegenen Nachbarorten für Beamte und Arbeiter nicht genug Wohnungen finden ließen wurden im Jahre 1873 nördlich der Werkstätten acht Arbeiterhäuser mit 80 Wohnungen gebaut. 
Die vom Baumeister Lambert Stummfohl errichteten Wohnhäuser bestanden aus Zimmer und Küche samt Nebenräumen für verheiratete und 24 Kabinetten für ledige Arbeiter. 
Zu jeder Familienwohnung gehörte ein kleines Gärtchen.
Im Jahr 1874 wurde das Restaurationsgebäude mit hübschem Gastgarten fertiggestellt. 

Fotos und Text: Ernst Sladek
Abgebildete Häuser wurden in März 2008 abgerissen

Literaturhinweise:

Horn Alfred: Die Österreichische Nordwestbahn, Bohmann-Verlag, Wien-Heidelberg 1967, 

Bahn im Bild Band 91: Die Nordwestbahnstrecke, Verlag Pospischil, Wien 1995

"Unser schönes Floridsdorf": (Blätter des Bezirksmuseums Floridsdorf), 17. Jahrgang, Heft 3, Wien 1983. Die Hauptwerkstätte Jedlesee der k.k. priv. österr. Nordwestbahn.

Ing. Peter Gaider
Ernst Sladek

Januar 2008